Der emotionale Ausdauerlauf: Bedürfnisorientierte Erziehung und Selbstreflexion

 


 Diese Woche geht mein Sohn zum ersten Mal seit Monaten alleine in die Waldgruppe – ein Schritt, der für mich einerseits befreiend ist, andererseits jedoch gemischte Gefühle hervorruft. Zurückblickend war er vor etwa 1,5 Jahren schon einmal in der Kindergrippe, als er etwa 1,5 Jahre alt war. Das nur als kleine Zeitleiste.

Wie habe ich das empfunden? Kurz gesagt, war es für mich einerseits befreiend, da strukturiertes Arbeiten und die Möglichkeit, sich auf eine Sache zu konzentrieren, einen Luxus darstellen. Auf der anderen Seite empfanden mein Mann und ich es beide als herausfordernd, da es sich zu früh anfühlte, ihn wieder in die Fremdbetreuung zu geben. Finanzielle und berufliche Umstände zwangen uns jedoch dazu. Damals übernahm mein Mann die schwierige Aufgabe der Eingewöhnung und des Hinbringens, während ich das Glück hatte, ihn am Nachmittag abholen zu dürfen.

Hatten wir es soweit geschafft, ohne emotionale Ausbrüche aus der Krippe herauszukommen, durfte ich schnell lernen, dass Gefühle gelebt werden wollen und dass sie nur temporär aufgeschoben werden können – erste Erkenntnisse des Elternseins.

Ehrlich gesagt bin ich, wenn ich selbstkritisch bin, ein zutiefst unausgeglichener, emotional aufbrausender Mensch, der Schwierigkeiten mit der Selbstregulation hat. Dies führte dazu, dass ich nach Alternativen suchte. Eine Mutter empfahl mir das Buch "Das gewünschteste Wunschkind treibt mich in den Wahnsinn", das ich bis heute konsultiere. Die Erkenntnis, dass ich mich selbst "erziehen" muss, war schleichend, und die Idee der Co-Regulation wurde zum Zauberwort.

Die Herausforderung besteht darin, sich selbst zu regulieren und zu kontrollieren, damit das Kind es von einem abschauen kann. Funktioniert das? Ja, jedoch nicht unbedingt auf die Weise, wie wir es erwarten. Wenn ich mein Kind anschreie oder bestechen, mag es kurzfristig das gewünschte Ergebnis erzielen, doch zu welchem Preis? Meistens fühle ich mich danach schlecht, und auch mein Kind fühlt sich nicht besser, nur weil es getan hat, was ich wollte. Die langfristige Botschaft für das Kind könnte sein, dass Liebe davon abhängt, gehorsam zu sein.

Bei der Co-Regulation geht es um langfristige Verhaltensänderung des eigenen Selbst, damit das Kind dieses Verhalten, das wir erwarten, spiegeln und schrittweise erlernen kann – ähnlich wie beim Erlernen von Sprachen oder Gehen. Was bedeutet das für uns Eltern? Eine sehr intensive und anstrengende Selbsterkenntnis sowie Selbstregulation sind erforderlich. Im Grunde genommen behandeln wir unser Kind mit derselben Höflichkeit, die wir einem Erwachsenen entgegenbringen würden.

Als Erwachsene und Mutter sehe ich mich an einem Punkt, an dem ich erkenne, dass ich noch viel an mir arbeiten muss, um einen geschichtlichen Kreislauf zu durchbrechen. Wenn wir uns nur anschauen, was unsere Großeltern durchmachen mussten, wird deutlich, dass Traumata über Generationen weitergegeben werden. Das Problem liegt darin, dass diese oft verdrängt und nicht aufgearbeitet wurden.

Die letzten 4 Jahre mit meinem Großen haben mir gezeigt, dass bedürfnisorientierte Erziehung mehr mit meiner eigenen emotionalen Aufarbeitung und Selbsterkenntnis zu tun hat als mit klassischer Erziehung.

Zurück zum Anfang dieses Artikels: Mein Sohn war die letzten 1,5 Jahre nur bei mir zu Hause, während ich schwanger war und in Karenz mit seinem Brüderchen bin. Das hat unsere Bindung und Dynamik verändert. In dieser Zeit haben wir Power-Löwenmamis kennengelernt, die einen Verein gegründet haben. Durch regelmäßige Treffen ist eine familiäre Gemeinschaft entstanden. Mein Großer hat jetzt gute Freunde gefunden, und eine Mami hat die Hauptbetreuung übernommen, wodurch es für ihn kein Problem ist, sich für ein paar Stunden von mir zu verabschieden. Aber es bedeutet trotzdem eine neue Umstellung für ihn und für mich eine emotionale Achterbahn am Nachmittag.

Emotionen wechseln so schnell, dass ich ebenso schnell überfordert bin. Also, was tue ich? Ich greife erneut zu Büchern und beginne von vorne. Bedürfnisorientierte Erziehung ist ein Ausdauerlauf, der mehr mit meiner eigenen emotionalen Aufarbeitung und Selbsterkenntnis zu tun hat als mit klassischer Erziehung. Sobald ich neue Strategien gefunden habe, werde ich berichten.

Wenn jemand an Empfehlungen interessiert ist: Der Ausgangspunkt und ein sehr guter einstieg waren für mich die Bücher über das Wunschkind, gefolgt von GFK (Gewaltfreie Kommunikation) und die Artgerecht Bücher. Besonders beeindruckt bin ich ebenso von "Raising Yourself". Schaut mal bei ihr auf Instagram vorbei, wenn ihr kein Problem mit Englisch habt. Und alle geben natürlich viele weitere Empfehlungen für tolle Erkenntnisse und vertiefende Bücher. 

Ich freue mich über Erfahrungsaustausch und Brainstorming. Nur gegenüber leeren Pauschalurteilen verwehre ich mich, und ich urteile auch nicht über den Weg anderer, solange es unseren nicht negativ beeinflusst.

Bis zum nächsten Mal.

Eure Cy

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